kennst du das Gefühl? Dein Kind testet seine Grenzen aus, und du schwankst zwischen dem Wunsch, liebevoll zu bleiben, und der Notwendigkeit, klare Regeln aufzustellen. In diesen Momenten fühlst du dich vielleicht hin- und hergerissen, unsicher oder sogar schuldig. Doch eines vorweg: Grenzen zu setzen ist kein Gegensatz zur Liebe – im Gegenteil, es ist ein wesentlicher Teil davon.
Warum Grenzen so wichtig sind
Kinder brauchen Grenzen wie Pflanzen einen Stab, an dem sie sich orientieren und hochwachsen können. Sie geben Sicherheit und Struktur in einer Welt, die für kleine Menschen oft überwältigend sein kann. Ohne klare Grenzen fühlen sich Kinder paradoxerweise weniger frei, sondern eher verloren und unsicher.
Grenzen helfen Kindern:
- Die Welt zu verstehen und sich darin zurechtzufinden
- Soziale Fähigkeiten zu entwickeln
- Selbstkontrolle und Selbstregulation zu lernen
- Ein gesundes Selbstwertgefühl aufzubauen
- Sich sicher und geliebt zu fühlen
Der Unterschied zwischen autoritärem und liebevollem Grenzensetzen
Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen starren, autoritären Regeln und liebevollen, respektvollen Grenzen. Bei liebevollem Grenzensetzen geht es nicht um Macht oder Kontrolle, sondern um Fürsorge, Respekt und Führung.
Autoritäres Grenzensetzen sagt: „Mach es, weil ich es sage.“ Liebevolles Grenzensetzen sagt: „Ich setze diese Grenze, weil ich dich liebe und für deine Sicherheit und dein Wohlbefinden sorge.“
Praktische Tipps für liebevolles Grenzensetzen
1. Sei klar und konsequent
Kinder brauchen Klarheit. Verwende einfache, direkte Sprache und erkläre den Grund für eine Grenze auf kindgerechte Weise. Sei dann konsequent – wechselnde Grenzen verwirren und führen zu mehr Machtkämpfen.
Beispiel: „Wir fassen den heißen Ofen nicht an, weil er uns wehtun kann. Ich passe auf dich auf und möchte nicht, dass du dich verletzt.“
2. Respektiere die Gefühle deines Kindes
Wenn du Grenzen setzt, wird dein Kind manchmal wütend, traurig oder frustriert sein. Diese Gefühle sind normal und wichtig. Anstatt sie zu unterdrücken, bestätige sie:
Beispiel: „Ich sehe, dass du wütend bist, weil wir jetzt nach Hause gehen müssen. Es ist in Ordnung, enttäuscht zu sein. Ich bin trotzdem für dich da.“
3. Biete Alternativen an
Anstatt nur „Nein“ zu sagen, biete Alternativen an. Das hilft Kindern, konstruktive Lösungen zu finden und gibt ihnen ein Gefühl von Autonomie innerhalb sicherer Grenzen.
Beispiel: „Du kannst nicht auf dem Sofa springen, aber du kannst draußen auf dem Trampolin springen oder wir können ein Kissen auf den Boden legen und darauf hüpfen.“
4. Achte auf deine eigenen Grenzen
Als Mütter vergessen wir oft, dass auch wir Grenzen haben und diese respektiert werden sollten. Wenn wir unsere eigenen Grenzen wahren, zeigen wir unseren Kindern, wie wichtig Selbstfürsorge ist.
Beispiel: „Mama braucht jetzt 10 Minuten Pause. Danach lese ich dir gerne eine Geschichte vor.“
5. Verbinde dich vor der Korrektur
Bevor du korrigierend eingreifst, stelle eine Verbindung her. Ein kurzer Moment der Nähe – eine Berührung, Augenkontakt oder ein sanftes Wort – kann Wunder wirken.
Beispiel: Geh auf Augenhöhe, berühre sanft die Schulter deines Kindes und sage dann: „Ich sehe, dass du gerade wütend bist und deinen Bruder geschlagen hast. In unserer Familie verletzen wir uns nicht gegenseitig. Lass uns gemeinsam überlegen, wie du deinem Bruder zeigen kannst, dass du verärgert bist, ohne ihn zu verletzen.“
Wenn es schwierig wird: Umgang mit herausfordernden Situationen
Manchmal scheinen alle Strategien zu versagen, und wir fühlen uns hilflos oder frustriert. In diesen Momenten:
- Mache eine kurze Pause, wenn möglich. Tiefes Durchatmen kann Wunder wirken.
- Erinnere dich an deine langfristigen Ziele für dein Kind – nicht nur an den aktuellen Konflikt.
- Sei gnädig mit dir selbst. Perfekte Eltern gibt es nicht, und Fehler gehören dazu.
- Beginne neu, wenn nötig. „Lass uns nochmal von vorne anfangen“ ist ein kraftvoller Satz.
Die Kraft der Entschuldigung
Wenn du als Elternteil die Grenzen überschreitest – zum Beispiel durch lautes Schreien oder unfaire Worte – entschuldige dich. Dies zeigt deinem Kind, dass Fehler zum Menschsein gehören und wir die Verantwortung für unser Handeln übernehmen können.
Eine aufrichtige Entschuldigung kann ein wundervoller Lernmoment sein: „Es tut mir leid, dass ich so laut geworden bin. Ich war frustriert, aber es war nicht in Ordnung, dich anzuschreien. Ich arbeite daran, besser mit meinen Gefühlen umzugehen.“
Ein kontinuierlicher Lernprozess
Liebevolles Grenzensetzen ist keine einmalige Sache, sondern ein kontinuierlicher Prozess des Wachsens – für dich und dein Kind. Mit jedem Alter kommen neue Herausforderungen und neue Grenzen. Was heute funktioniert, muss morgen angepasst werden.
Das Schöne daran: Mit jedem liebevollen „Nein“, mit jeder respektvollen Grenze wächst nicht nur dein Kind in seiner Fähigkeit zur Selbstregulation, sondern auch eure Beziehung wird tiefer und vertrauensvoller.
Buchempfehlungen zum Thema „Grenzen setzen“
Hier sind einige wertvolle Buchempfehlungen zum Thema „Grenzen setzen“ in der Erziehung:
- „Grenzen, Nähe, Respekt“ von Jesper Juul – Ein Klassiker des dänischen Familientherapeuten, der liebevolle Autorität und gleichwürdige Beziehungen zwischen Eltern und Kindern thematisiert.
- „Das gewünschteste Wunschkind“ von Danielle Graf und Katja Seide – Bietet praktische Ansätze für bedürfnisorientierte Erziehung mit klaren Grenzen.
- „Kinder brauchen Grenzen“ von Jan-Uwe Rogge – Pragmatische Tipps für den Alltag mit Kindern unterschiedlicher Altersgruppen.
- „Erziehen ohne Schimpfen“ von Nicola Schmidt – Zeigt Wege auf, wie Grenzen ohne Machtkämpfe und negative Kommunikation gesetzt werden können.
- „Starke Kinder – liebevolle Führung“ von Nora Imlau – Verbindet Bindungsorientierung mit notwendigen Grenzen.
- „Mit Kindern wachsen“ von Naomi Aldort – Fokussiert auf respektvolle Kommunikation und Grenzsetzung ohne Machtkämpfe.
- „Die Kunst des Erziehens“ von Alfie Kohn – Hinterfragt traditionelle Belohnungs- und Strafsysteme und bietet alternative Ansätze.
- „Wie Kinder heute wachsen“ von Herbert Renz-Polster – Betrachtet Grenzen aus entwicklungsbiologischer Perspektive.
Diese Bücher bieten unterschiedliche Perspektiven und Ansätze, von denen du je nach deinem persönlichen Erziehungsstil und den Bedürfnissen deiner Familie auswählen kannst.
Zum Mitnehmen
- Grenzen sind ein Ausdruck von Liebe und Fürsorge
- Klare, konsequente und altersgerechte Grenzen geben Kindern Sicherheit
- Respektiere die Gefühle deines Kindes, auch wenn du nicht allen Wünschen nachgibst
- Pflege deine eigenen Grenzen als wichtiges Vorbild
- Sei gnädig mit dir selbst – Grenzensetzen ist eine Kunst, die Zeit braucht
Hör auch sehr gerne in den Podcast von Kathy Weber rein, in dem es um gewaltfreie Kommunikation geht – da ist das Grenzen Thema auch ein sehr großes Thema!
Was sind deine Erfahrungen mit dem Setzen von Grenzen? Teile deine Geschichten und Fragen gerne in den Kommentaren!
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